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5 Jahre Corona: Wie geht das weiter, Frau Dr. Šalamon?

Dieses Interview wurde ursprünglich von Christian Klosz auf Das Medium veröffentlicht und wird hier mit Genehmigung erneut veröffentlicht.

5 Jahre Corona-Pandemie: Was sind die aktuellen Herausforderungen, was wurde verabsäumt, was muss besser gemacht werden und wie wird sich das alles in den nächsten Jahren entwickeln?

Ein Gespräch mit Špela Šalamon.

Dr. Špela Šalamon ist Fachärztin für Nuklearmedizin, arbeitet in einem steirischen Landeskrankenhaus und ist als Expertin für das WHN und die Ärztekammer Wien tätig. Die Fragen stellte Christian Klosz.

Aktuell sind die Corona-Zahlen (die „reale Inzidenz“ nach statistischer Berechnung, Anm.) im Vergleich zu den letzten Jahren zu der Zeit ja eher niedrig. Ist das nur ein aktueller Trend oder lassen sich daraus Prognosen für die Zukunft ableiten?

„Niedrig“ ist in dem Fall relativ – seit Aufhebung der Maßnahmen sind die jährliche Infektionszahlen nach Schätzungen aus Abwasserdaten stets höher als 2020. Viele Länder haben ihre Teststrategien stark zurückgefahren, wodurch die tatsächliche Verbreitung des Virus oft unterschätzt wird, daher muss man statistische Berechnungen heranziehen. SARS-CoV-2 mutiert weiter, und neue Varianten können wieder zu verstärkten Infektionswellen führen, insbesondere, wenn sie Immunfluchtmechanismen entwickeln.

Die aktuell relativ niedrige Inzidenz kann mehrere Ursachen haben. Zum einen gibt es derzeit bei uns keine neuen Varianten, zum anderen könnten auch Faktoren wie geringere soziale Teilhabe aufgrund der Inflation oder chronischer Erkrankungen eine Rolle spielen. Auch wenn neue Varianten eine Immunflucht aufweisen, bietet eine frische Infektion oft zumindest für einige Monate einen Schutz vor einer erneuten Ansteckung – und im Sommer und Herbst 2024 war die Durchseuchung besonders hoch. Das kann auch mitspielen.

Wie hoch schätzen Sie den Prozentsatz der Menschen, die von Long Covid, ME/CFS und anderen, einschränkenden Schäden durch Corona-Infektionen betroffen sind?

Basierend auf aktuellen Studien und der Übersichtsarbeit „Review of organ damage from COVID and Long COVID“ an der ich mitgewirkt habe, variieren Schätzungen je nach Definition und untersuchter Bevölkerungsgruppe:

  • Etwa 10–30 % der nicht-hospitalisierten Personen entwickeln Long COVID-Symptome nach einer Infektion. Mit jeder zusätzlichen Infektion steigt diese Zahl kumulativ um weitere 10-15 %. Bei hospitalisierten Patient:innen oder Personen mit schwerem Verlauf sind die Raten noch höher – über 50 %.
  • Organ- und Gefäßschäden ohne erkennbare Symptome, manchmal mit PASC (Postakute Sequelae of COVID-19) bezeichnet, betreffen über 50 % der Infizierten. Dies betrifft u. a. das Herz-Kreislauf-System, das Gehirn, die Lunge und das Immunsystem. Manche Schätzungen gehen sogar von 70 % oder mehr aus, insbesondere wenn auch subklinische Schäden einbezogen werden.
  • Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) und Belastungsintoleranz (PEM) tritt nach COVID-19 gehäuft auf. Insgesamt könnte der Anteil der dadurch anhaltend schwer beeinträchtigten Personen bei 1–5 % aller Infizierten liegen, diese Zahl steigt wahrscheinlich mit Reinfektionen auch.

Warum wurde und wird das Thema Long Covid aus Ihrer Sicht von vielen Medizinern, Medien und auch der Politik weitgehend ignoriert?

Das Thema bleibt sehr unpopulär, insbesondere unter denen, die Wahlstimmen brauchen. Viele Regierungen haben COVID-19 für „beendet“ erklärt (obwohl dies nach keinem Kriterium der Fall ist) und fürchten, dass eine Neubewertung der Langzeitfolgen als politisches Eingeständnis des Versagens gewertet wird. Eine breite Anerkennung der langfristigen Schäden würde enorme Kosten für Sozialversicherungen und Gesundheitssysteme verursachen – von Frührenten über Langzeitpflege bis hin zu Arbeitsausfällen – obwohl die langfristigen Kosten einer weiteren Ignoranz bestimmt noch viel höher sein werden. Eine anhaltende Pandemie bedeutet Einschränkungen für Unternehmen, sei es durch Infektionsschutzmaßnahmen oder die Anerkennung arbeitsbedingter Infektionen als Berufskrankheit.

Erkrankungen wie ME/CFS, Long COVID und Fibromyalgie wurden in der Vergangenheit oft als psychosomatisch abgetan. Dies setzt sich in der Wahrnehmung vieler Mediziner:innen und Institutionen fort. Viele Long-COVID-Betroffene können nicht mehr arbeiten, sind sozial isoliert oder in ihrem Alltag stark eingeschränkt. Dadurch fehlt ihnen die Möglichkeit, sich medial oder politisch Gehör zu verschaffen.

Obwohl es inzwischen zahlreiche Studien gibt, dauert es oft Jahre, bis neue Erkenntnisse in Leitlinien und klinische Praxis einfließen. Auch wenn es zunehmend Hinweise auf objektive Marker gibt (z. B. mikrothrombotische Veränderungen, Immun- und Gefäßschäden), existiert bisher kein standardisierter Test für Long COVID oder ME/CFS. Das macht Diagnosen schwierig und angreifbar. Viele Mediziner:innen wurden auch nicht ausreichend über Long COVID und ME/CFS aufgeklärt. Dadurch wird das Thema oft nicht ernst genommen oder fehldiagnostiziert (z. B. als psychosomatisch abgetan).

Die Ignoranz gegenüber Long COVID ist kein Zufall, sondern das Resultat eines komplexen Zusammenspiels aus medizinischen, gesellschaftlichen und politischen Faktoren. Während Wissenschaft und Betroffene immer lauter auf die Problematik hinweisen, bleibt die Reaktion vieler Entscheidungsträger hinter den wissenschaftlichen Erkenntnissen zurück. Langfristig könnte sich das rächen – sowohl für das Gesundheitssystem als auch für die Gesellschaft insgesamt.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der negativen wirtschaftlichen Entwicklung in vielen Ländern und diesen Phänomenen?

Ja, es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung vieler Länder und den langfristigen gesundheitlichen Schäden durch COVID-19, einschließlich Long COVID und der damit verbundenen Arbeitsunfähigkeit. Schätzungen zufolge sind Millionen Menschen weltweit aufgrund von Long COVID arbeitsunfähig oder stark in ihrer Arbeitsleistung eingeschränkt. Studien zeigen ja – wie oben erwähnt – dass bis zu 10–30 % der einmal Infizierten Long COVID entwickeln, wobei bis zu 5 % langfristig oder dauerhaft erwerbsunfähig sein könnten. Das bedeutet massive Produktivitätsverluste in vielen Branchen, insbesondere im Gesundheitswesen, Bildungswesen und Dienstleistungssektor, wo langfristige Krankheitsausfälle besonders problematisch sind.

Unternehmen leiden unter höheren Fehlzeiten, mehr Kündigungen und einem gestiegenen Bedarf an Neueinstellungen, Teilzeit und Umschulungen. Viele Long-COVID-Betroffene haben geringere Einkommen und höhere Gesundheitsausgaben, wodurch ihre Kaufkraft sinkt. Dies führt zu einem Rückgang des privaten Konsums, was wiederum negative Folgen für den Handel und Dienstleistungssektor hat. Besonders betroffen sind da Reisebranche, Gastronomie und der Kultursektor, da viele Betroffene aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen weniger mobil oder aktiv sind.

COVID-19 kann auch eine vorzeitige Alterung des Körpers auslösen, was langfristig zu mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neurodegenerativen Krankheiten und Diabetes führen kann. Eine geschwächte Arbeitskraft und erhöhte Krankheitslast bedeuten langfristig höhere Gesundheitskosten und eine insgesamt weniger produktive Bevölkerung. Die Wirtschaftskrise in vielen Ländern ist nicht nur durch COVID-19 bedingt, aber die Langzeitfolgen der laufenden Pandemie verstärken bestehende Probleme wie Arbeitskräftemangel, Inflation und Fachkräftedefizite.

Was wären aus Ihrer Sicht die nötigen Lösungen?

Mehrdimensionale, wissenschaftlich begründete Maßnahmen, die sowohl medizinische, gesellschaftliche als auch wirtschaftliche Aspekte berücksichtigen. Ich versuche im Folgenden einen Überblick zu geben, was besonders wichtig wäre:

  • Öffentliche Aufklärung: Langfristige Gesundheitsfolgen von COVID-19 müssen ehrlich und wissenschaftlich fundiert kommuniziert werden, um Fehlinformationen zu vermeiden.
  • Aufklärung für Ärzt:innen und Gesundheitspersonal zu Long COVID & postviralen Syndromen und wirksamen Schutzmaßnahmen.
  • Luftqualität verbessern: Saubere Luft in Innenräumen (HEPA-Filter, UV-C Lampen, CO₂-Messung, bessere Lüftungssysteme) ist entscheidend für die Reduzierung der Übertragung.
  • FFP2/N95-Masken in Risikobereichen: Besonders in medizinischen Einrichtungen, Apotheken, Pflegeheimen, Schulen und öffentlichen Verkehrsmitteln.
  • Spezialisierte Long-COVID-Kliniken: Interdisziplinäre Teams aus gebildeten Diagnostiker, Neurologen, Immunologen, Kardiologen und Rehabilitationsmedizinern sind nötig.
  • Therapieansätze gezielt weiterentwickeln: Erforschung antiviraler Behandlungen, Immunmodulation, rehabilitative Maßnahmen und mögliche Medikamente gegen persistierende Virusreservoire.
  • Langfristige Patientennachsorge: Betroffene brauchen eine dauerhafte medizinische Begleitung, nicht nur kurzfristige Rehabilitationsangebote.
  • Flexible Arbeitsmodelle: Homeoffice-Optionen und reduzierte Arbeitszeiten müssen leichter zugänglich sein. Dieses hat auch positive Auswirkungen für die Umwelt, Produktivität und Lebensqualität.
  • Anerkennung als Berufskrankheit: COVID-19-bedingte Arbeitsunfähigkeit sollte von Krankenkassen und Rentenversicherungen klar anerkannt werden.
  • Finanzielle Unterstützung für Betroffene: In vielen Ländern sind Long-COVID-Patienten gezwungen, sich durch bürokratische Hürden zu kämpfen – das muss vereinfacht werden.
  • Unterstützte Isolation und Quarantäne: Infizierte können oft daheim nicht wirksam isoliert werden. Die Möglichkeit einer Isolation mit (tele)medizinischer Überwachung könnte viele weitere Infektionen und deren Nachfolgen verhindern.
  • Langfristige Datenvigilanz und Pandemievorsorge: Frühwarnsysteme für Erreger wie Abwasserdaten und Stichproben, schnelle Anpassung von Schutzmaßnahmen, klare Kommunikationsstrategien.
  • Internationale Zusammenarbeit fördern: COVID-19 ist ein globales Problem – Lösungen müssen international entwickelt und umgesetzt werden.

Wo sehen Sie die Gesellschaft – selbst wenn der pandemische Zustand auslaufen sollte – in 1, 5, 10 Jahren? Werden diese Folgeschäden dann noch eine Rolle spielen?

Da ich gerne optimistisch bin, werde ich hier meine optimistische Vorhersage anführen, die keinen Niedergang der zivilisierten Gesellschaft durch Gewalt als Folge einer Hirnschädigung einschließt.

  • Kurzfristig – im 1. Jahr: Trotz rückläufiger Aufmerksamkeit leiden weiterhin Millionen Menschen an Long COVID, vaskulären Schäden und neurokognitiven Beeinträchtigungen. Besonders in Medizin, Pflege, Bildung und anderen essenziellen Berufen häufen sich Ausfälle und Frühverrentungen. Die meisten Regierungen werden weiterhin versuchen, das Thema zu verdrängen, um Kosten zu vermeiden. Erste gezielte Therapien für Long COVID könnten in kleinen spezialisierten Zentren getestet werden, aber flächendeckende Versorgung bleibt unzureichend.
  • Mittelfristig – bis 2030: Mehr Menschen entwickeln kardiovaskuläre, neurologische und autoimmune Langzeitfolgen, vergleichbar mit der postpolioartigen Welle nach der Spanischen Grippe. Durch mehr frühzeitige Arbeitsunfähigkeiten und Invaliditätsfälle entstehen wachsende Belastungen für Renten- und Sozialsysteme. Endgültige internationale Anerkennung von Long COVID als chronische Erkrankung. Fortschritte in der Behandlung persistierender Virusreservoire und Immunmodulation könnten erste wirksame Therapien hervorbringen. Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass Luftqualität, Impfstofftechnologien und antivirale Prävention entscheidend sind.
  • Langfristig – bis 2035: Spätfolgen führen zu einer dauerhaften Verkürzung der Lebenserwartung sowie eine gestiegenen Verbreitung von Erkrankungen wie Herzinfarkten, Schlaganfällen, Demenz und chronischer Fatigue. Spezialisierte Behandlungen und multidisziplinäre Ansätze für postvirale Syndrome werden zur Normalität. Die demografische Entwicklung verschärft sich durch weniger gesunde Arbeitskräfte, höhere Gesundheitskosten und anhaltende Produktivitätsverluste. Langsam entsteht ein Umdenken, bei dem öffentliche Gesundheit und Luftqualität als zentrales Thema betrachtet werden – ähnlich wie sauberes Wasser und Händehygiene nach früheren Pandemien und Epidemien. Durch diese Entwicklung sind wir besser gegen übertragbare Krankheiten gerüstet und können endlich auch die Covid-Pandemie tatsächlich mittels Suppression und Elimination des Erregers beenden.

Was ist aus Ihrer Sicht der Grund, warum die negativen Folgen der Pandemie von großen Teilen der Gesellschaft ausgeblendet werden?

Viele Menschen haben sich und ihre eigenen Kinder und Angehörigen mehrfach infiziert und möchten nicht glauben, dass dies ernsthafte oder irreversible Schäden hinterlassen könnte. Die Vorstellung, dass die Regierung oder die Gesundheitswesen Fehler gemacht haben könnte, ist unangenehm – daher neigt das Gehirn dazu, widersprüchliche Informationen auszublenden. Das Bedürfnis nach „Normalität“ kann oft überwiegen, selbst wenn diese „Normalität“ gesundheitliche Risiken birgt.

Menschen reagieren evolutionär stärker auf sofortige Gefahren (z. B. ein Feuer) als auf schleichende Risiken (z. B. Langzeitschäden durch Virusinfektionen). COVID-19 ist als akute Bedrohung seit den Impfungen weniger relevant – langfristige Schäden sind abstrakt und leicht zu ignorieren. Wer weiterhin Masken trägt oder über Long COVID spricht, gilt oft als „übertrieben ängstlich“ oder „hängt an der Vergangenheit“. Die Mehrheit passt sich wie „Herdentiere“ an die Haltung der Masse an – sobald das kollektive Narrativ „die Pandemie ist vorbei“ lautet, wird es gesellschaftlich unangenehm, eine andere Meinung zu vertreten.

Unsere Gesellschaft ist leistungsorientiert – chronische Krankheiten wie Long COVID oder ME/CFS passen nicht in dieses Narrativ. Menschen mit Long COVID werden oft als „psychisch krank“ abgestempelt, weil die Krankheit schwer zu diagnostizieren ist. Außerdem haben die meisten großen Medien in den letzten 2-3 Jahren ihre Berichterstattung zu COVID-19 massiv reduziert. Dadurch entsteht der Eindruck, das Problem existiere nicht mehr – was Menschen in ihrer Verdrängung bestätigt und dadurch beruhigt, aber auch dazu führt, dass neu aufgetretene Gesundheitszustände als „mysteriös“ gesehen werden, oder sogar als „Impfschäden“ oder „Lockdown-Nachfolgen“ interpretiert werden.

Welche individuell beobachtbaren gesundheitlichen Probleme könnten auf Covid zurückzuführen sein? Was raten Sie Betroffenen, die nach Infektion(en) merken, dass „irgendwas nicht stimmt“?

Ehrlich gesagt, fast alles. Das Virus befällt in erster Linie die Blutgefäße, insbesondere die kleinen, die alle Organe des Körpers mit Blut, Nährstoffen, Sauerstoff und Immunabwehr versorgen. Organschäden führen zu einer verringerten Funktionsfähigkeit und physiologischen Reserve der Organe, was mit einer verringerten Gesundheit, einer verringerten Lebenserwartung und einer erhöhten Anfälligkeit für künftige Infektionen und Erkrankungen einhergeht. Sie äußern sich auch in akuten Ereignissen wie Herzinfarkten, Schlaganfällen sowie wiederkehrenden Infektionen anderer Art.

Organschäden sind ein wichtiger Träger für Long-COVID-Symptome, und die Symptome von Long COVID können als die Spitze des Eisbergs der Manifestationen von Multisystem- und Organschäden angesehen werden. Wenn ich einige sehr typische Probleme nennen will, wären das Müdigkeit und Leistungsschwäche, Kurzatmigkeit, Gliederschmerzen, Herzklopfen, Schlafstörungen, inneres Zittern und Nervosität, Probleme mit dem Gedächtnis und dem Denken sowie eine Neigung zu häufigen Infektionen. Mein wichtigster Rat lautet: Vermeiden Sie um jeden Preis Reinfektionen! Bei Menschen, die bereits Langzeitfolgen haben, führen Reinfektionen typischerweise zu einer weiteren Senkung der Ausgangsleistungfähigkeit und einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Ohne Reinfektionen kann es aber durchaus passieren, dass sich das Gesundheitszustand mit Zeit, Geduld und Schonung langsam verbessert.

In Österreich gibt es seit kurzem eine neue Regierung, die sich zumindest im Regierungsprogramm zum Ausbau der Versorgung von ME/CFS-Betroffenen verpflichtet hat, die SPÖ forderte im Wahlkampf „saubere Luft“ für alle. Denken Sie, dass die Regierung und zuständige Ministerien – nach den letzten, katastrophalen Jahren unter Gesundheitsminister Rauch – einen positiven Beitrag leisten werden, damit sich etwas in die richtige Richtung entwickelt?

Die angekündigte Verbesserung der Versorgung für ME/CFS-Betroffene ist ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings bleibt abzuwarten, ob diesen Ankündigungen auch tatsächlich konkrete Maßnahmen folgen. In der Vergangenheit wurden gesundheitspolitische Versprechen oft nur halbherzig oder gar nicht umgesetzt.

Der ehemalige Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) hat in den letzten Jahren kaum Initiativen in diesem Bereich gesetzt. Minister Rauch hat durch seine maskenlosen Abenteuer, auch im Kontakt mit besonders gefährdeten Menschen wie Babys und Schwerkranken, ein beschämendes, ungebildetes und rücksichtloses Beispiel gesetzt. Auch der schlechte Umgang mit Long COVID und ME/CFS hat viel Vertrauen gekostet. Die Versorgungssituation für ME/CFS ist derzeit katastrophal, und eine wirkliche Verbesserung erfordert erhebliche Investitionen in Forschung, Diagnose und Therapie. Politische Versprechen sind oft mehr Symbolik als echte Verpflichtungen, und durch meine Erfahrungen mit der Politik bleibe ich skeptisch.

Die SPÖ hat im Wahlkampf „saubere Luft“ für alle gefordert, was eine indirekte Anerkennung der Bedeutung von Luftqualität für Infektionsprävention sein könnte – ein Thema, das für ME/CFS-Betroffene und Long COVID-Patient:innen entscheidend ist. Die neue Regierung könnte sich von den Fehlern der Vergangenheit distanzieren wollen und gezielt Maßnahmen setzen, um Vertrauen zurückzugewinnen. Ob es wirklich Fortschritte geben wird, hängt meistens davon ab, ob der öffentliche Druck von Betroffenenverbänden, Ärzt:innen und Forscher:innen ausreichend wird.

Welches persönliche Fazit würden Sie aus „5 Jahre Corona-Pandemie“ ziehen, auf medizinischer und gesellschaftlicher Ebene?

Vor der Pandemie war ich davon überzeugt, dass die Leute auf internationalen medizinischen Konferenzen, die Leiter:innen großer medizinischer Zentren und in verschiedenen politischen Gremien bestens ausgebildet und Expert:innen in ihrem Bereich sind. Jetzt ist der Kaiser nackt und jedem, der die Wissenschaft auch nur ein wenig verfolgt hat, ist klar, dass die meisten dieser Leute sich nur als Expert:innen verkleiden und uns nicht „retten“ werden. Wir müssen informiert bleiben und uns gewissermaßen selbst und einander retten, auch von unseren politischen Anführer:innen ist vorerst nur bedingt Hilfe zu erwarten. Sicherheit und Stärke können nur von unten aufgebaut werden, von Basisgemeinschaften und in direkter Kommunikation mit dem, was von einer unvoreingenommenen, unpolitischen Wissenschaft ohne Interessenkonflikte übriggeblieben ist.

Durch diese Corona-Pandemie haben diejenigen von uns, die sich der wissenschaftlichen und medizinischen Realitäten dieser Krankheit bewusst sind, das wahre Gesicht aller Menschen gesehen – unserer Familien, Freund:innen, Kolleg:innen, Ärzt:innen und Führungskräfte. Es mag beängstigend sein, wie viele von ihnen sich als nachlässig, inkompetent und geradezu böswillig erwiesen haben. Aber die Einsicht, das Gute vom Schlechten und Hässlichen zu unterscheiden, ist von unschätzbarem Wert.

Ich möchte alle einladen, den Mut zu finden, den Tatsachen ins Auge zu blicken und ihr Leben entsprechend zu ändern. Es besteht kein Grund zur Angst oder Panik, wenn wir wissen, was uns bevorsteht und wie wir uns schützen können. Tatsächlich sind es diejenigen, die auf Verleugnung beharren, die wirklich in Angst leben.

Danke für das Interview!


Dr. Špela Šalamon, Dr.med., spec.nuk.med. ist Fachärztin für Nuklearmedizin und biomedizinische Wissenschaftlerin im Bereich der Genetik komplexer / degenerativer Erkrankungen. In ihrer Forschungstätigkeit versucht sie, Krankheitsprozess vom Gen über das Molekül und die Zelle, das Gewebe und das Organ bis hin zur klinischen Erkrankung zu verfolgen – mit dem Ziel, jeden möglichen Schritt im Krankheitsprozess zu verstehen und zu kontrollieren.

Seit Anfang der Corona-Pandemie engagiert sie sich als ehrenamtliche wissenschaftliche Beraterin für das World Health Network, ist Editorin des Journals WHN Science Communications und ist leitende Kuratorin von longcovidlearning.org. Darüber hinaus hat sie mehrere Publikationen zu den gesundheitlichen Risiken von COVID-Infektionen veröffentlicht.

Last reviewed on March 28, 2025

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